Vorbemerkung

Der ökologische Verkehrsclub VCD begrüßt, dass die Bundesregierung nach der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes nun - wie im Koalitionsvertrag vereinbart – mit dem vorliegen-den Entwurf auch die Straßenverkehrs-Ordnung anpasst. Neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs sollen künftig die Ziele des Umwelt- und Klimaschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen. Damit werden wesentliche Forderungen des VCD (www.vcd.org/fileadmin/user_upload/Redaktion/Themen/Verkehrspolitik/VCD_Bundestags-wahlforderungen.pdf) erfüllt; ebenso die des breiten Bündnisses aus Verkehrs-, Umwelt-, Verbraucher- und Wirtschaftsverbänden um den ADFC, und nicht zuletzt die Forderungen von fast 950 Kommunen, die sich bis jetzt in der „Initiative für lebenswerte Städte und Gemein-den“ versammelt haben.

Der vorgelegte Entwurf geht in die richtige Richtung, um eine sozial-, umwelt- und kindgerechte sowie sichere Verkehrswende zu ermöglichen. Den Behörden gibt er die Möglichkeit, bei ihren Anordnungen die o.g. Ziele stärker als bisher zu berücksichtigen und sie gleichberechtigt neben den Zielen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs anzuführen. Dies er-leichtert es den Kommunen, verkehrslenkende Maßnahmen umzusetzen, da die „einfache Gefahrenlage“ § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO keine rechtliche Voraussetzung mehr ist.

Der VCD begrüßt insbesondere die

● im neuen § 45 Abs. 1b Satz 2a StVO ergänzten Regelungen zur Parkraumbewirtschaftung. Auch hier sollen laut den Ausführungen des BMDV Maßnahmen unabhängig von der Gefahrenlage umsetzbar sein - nun auch aufgrund von Prognosen zur Anordnung von Bewohnerparken bei drohendem (und nicht mehr allein bestehendem) Parkraummangel.

● erweiterten Möglichkeiten zur Einführung von Tempo 30 auch auf Bundes-, Landes- und Kreisstraßen durch weitere Ausnahmen. Ergänzt werden sollten die Vorschriften in der StVO durch Regelbeispiele in der VwV-StVO.

● Flexibilisierung der bisher restriktiven Vorgaben der StVO zum Überqueren von Fahr-bahnen zu Fuß und

● Erleichterungen für die Einführung von Fußgängerüberwegen und Bussonderfahrstreifen. Zu Letzterem ist in der “Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung” [VwV-StVO] der Punkt „Zu Zeichen 245 Bussonderfahrstreifen“, Absatz 14, Punkt 12, ebenfalls anzupassen. Eine Regel für mindestens 20 Busse pro Stunde sollte es nicht mehr geben, wenn Kommunen in der Gesamtabwägung entscheiden.

Allerdings sind die nun vorgesehenen Änderungen nur ein erster Schritt und erfüllen nur teil-weise die Anforderungen an eine moderne Straßenverkehrsordnung. So bleibt der vorliegende Entwurf hinter den Möglichkeiten zurück, die mit der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes eröffnet wurden. Kommunen ist nach wie vor in vielen Fällen ein sehr enges Korsett gesetzt und müssen Maßnahmen teilweise nach wie vor aufwändig begründet werden.

So vermisst der VCD im aktuellen Entwurf weitere wichtige Regelungsbereiche und sieht entsprechenden Änderungsbedarfe, die teilweise auch Eingang in das StVG finden müssen:

● Die Vision Zero - also null Verkehrstote - sollte als weiteres Ziel verankert werden.

● Tempo 30 sollte als Regelgeschwindigkeit innerorts möglich sein.

● Parkgebühren sollten nicht nur nach Fahrzeuggröße, sondern auch nach sozialen Kriterien gestaffelt werden können.

● Der Einsatz von Scan-Fahrzeugen zum digitalen Parkraummanagement sollte, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, ermöglicht werden.

Für eine nachhaltige Verkehrswende muss besonders § 45 StVO gründlich überarbeitet wer-den. Kommunen brauchen deutlich mehr Freiheit, um ihren örtlichen Verkehr zu gestalten, was auch die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet. Der § 45 StVO ist in seiner heutigen Gestaltung zum überkomplexen, unsystematischen Reparaturbetrieb geworden. Vor allem Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen bis-her nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehen-den Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

Bleibt es bei dieser Regelung, wird das dazu führen, dass die Maßnahmen für eine Verkehrs-wende weiterhin restriktiv ausgelegt werden (wie z.B. das Einrichten von Schulstraßen oder sonstige Maßnahmen zur Schulwegsicherheit; wir verweisen hier auf das Schreiben der Berliner Verkehrsstadträte an das BMDV vom 28. Juli 2023). Daher empfiehlt der VCD, den § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO ersatzlos zu streichen. Eine Beibehaltung würde insbesondere in den Kommunen einen rechtlichen Vorrang des Kraftfahrzeugverkehrs bedeuten. Angesichts der etwa 2.600 Todesfälle sowie 57.000 Schwer- und 300.000 Leichtverletzten im Verkehr im Jahr 2022 würde der Staat gegen seine verfassungsrechtliche gebotene Schutzpflicht für Gesundheit, Leib und Leben von Pkw-Fahrer*innen, Radfahrenden und Fußgänger*innen verstoßen. Das Ziel einer Vision Zero würde damit unterlaufen werden.

Darüber hinaus sollte klargestellt werden, dass sich die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auf alle Verkehrsteilnehmenden bezieht, insbesondere auf den Fuß- und Radverkehr.

Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD)

 

www.vcd.org

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